OLG Stuttgart: Zuzahlungsverzicht bei Hilfsmitteln für Diabetiker fällt unter Zuwendungsverbot
03.11.2015 Meldungen
Die sozialrechtlichen Zuzahlungsvorschriften sollen die Versicherten durch einen Finanzierungsbeitrag zu einem verantwortungsvollen und schonenden Umgang mit dem Beitragsaufkommen im Interesse der Sicherung des Sozialsystems anhalten. Dies stellt aber keine wettbewerbsbezogene Zielsetzung dar. Deshalb handelt es sich nicht um Marktverhaltensregeln. Allerdings ist der Verzicht auf die Zuzahlung eine unzulässige Zuwendung nach § 7 Heilmittelwerbegesetz (HWG), wie nunmehr das Oberlandesgericht Stuttgart mit o.g. Urteil feststellte.
Die Wettbewerbszentrale hatte einen Versender von Hilfsmitteln, insbesondere für Diabetiker, abgemahnt, weil dieser auf seiner Website mit Aussagen warb wie „Zuzahlung zahlen Sie übrigens bei uns nicht, das übernehmen wir für Sie!“. Die Wettbewerbszentrale sah hierin einen Verstoß gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 43b Abs. 1 SGB V sowie § 7 HWG. Das Landgericht Ulm hatte die Klage der Wettbewerbszentrale abgewiesen. Das OLG Stuttgart verurteilte die Beklagte nunmehr, es zukünftig zu unterlassen, für den Zuzahlungsverzicht zu werben oder die Zuzahlung entsprechend der Werbung nicht einzuziehen, es sei denn, die Ankündigung oder Nicht-Einziehung beziehe sich auf einen geringfügigen Betrag, der nicht höher als 1,00 € liegt.
In seiner Begründung führt der Senat zunächst aus, dass es sich bei den Zuzahlungsvorschriften des SGB V nicht um Marktverhaltensregeln im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG handelt. Normzweck sei die Stärkung die Patientenselbstverantwortung, so dass die werbliche Ankündigung eines Verzichts auf die Zuzahlungseinforderung zwar ein nachhaltig rechtswidriges Verhalten sei, welches aber nicht einen Bereich der Marktfunktion betreffe.
Allerdings verstößt der Zuzahlungsverzicht nach Auffassung des Gerichts gegen § 7 HWG. Die Vorschrift enthält ein generelles Zuwendungsverbot und wird sowohl in der Rechtsprechung als auch Literatur als Marktverhaltensregel im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG angesehen. Den Grundverbotstatbestand des § 7 Abs. 1 HWG sah das Gericht als erfüllt an, weil der Zuzahlungsverzicht in den Augen des Verbrauchers „ein Geschenk“ seitens des Anbieters darstellt. Beträge von bis zu 10,00 € seien auch nicht mehr geringfügig, so der Senat. Allerdings trägt der Senat mit seiner Einschränkung, Beträge bis zu 1,00 € zu erlauben, der vom BGH in früheren Verfahren festgelegten Wertgrenze Rechnung.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a HWG sind Zuwendungen oder Werbegaben, die in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag bestehen, zulässig. Das OLG Stuttgart hat diesen Ausnahmetatbestand aber nicht für einschlägig gehalten. Es hat dies begründet mit dem „Gebot der Einheitlichkeit der Rechtsordnung“: Wenn der Zuzahlungsverzicht nach dem SGB V generell verboten sei, so könne er nicht wieder erlaubt sein, weil er in einem anderen Regelungszusammenhang stehe.
Die Revision wurde vom OLG nicht zugelassen. Für den Beklagten besteht aber die Möglichkeit, Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.
Es bleibt abzuwarten, wie das Urteil in der Branche umgesetzt wird. Vermutlich dürfte es wenig werbewirksam und praktisch auch kaum umsetzbar sein, mit einem Zuzahlungsverzicht bis zu 1,00 € zu werben oder Zuzahlungsbeiträge bis zu 1,00 € zu erstatten.
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass Apothekern nach ihren Berufsordnungen auch der teilweise Verzicht auf Zuzahlungen nicht gestattet ist (siehe etwa § 19 Nr. 4 der Berufsordnung der Bayerischen Landesapothekerkammer). Das Urteil des OLG Stuttgart sollte also nicht als „Freibrief“ betrachtet werden, mit einem teilweisen Zuzahlungsverzicht zu werben oder auf die Zuzahlung auch nur teilweise zu verzichten.
Nähere Auskünfte zum Verfahren erhalten Sie von der Wettbewerbszentrale, Büro Bad Homburg, Frau RAin Christiane Köber unter Angabe des Aktenzeichens F 4 0683/13.
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